Erzählen Sie doch mal! - Ein Kartenspiel-Set für die Biografiearbeit mit Senioren


Produktname:
Erzählen Sie doch mal! - Ein Kartenspiel-Set für die Biografiearbeit mit Senioren
Autor (Produkt):
Marion Jettenberger
Verlag/Hersteller:
Erscheinungsjahr:
2015
Bezug:
Antiquariat
Preis ab:
32,99 €
Heilmittel:
Ergotherapie, Logopädie
Fachbereich(e):
Neurologie (L), Neurologie (L), Geriatrie
Störungsbild(er):
Aphasie und kognitive Dysphasie, Dysarthrie und Dysarthrophonie, dysexekutive Störung, dementielle Syndrome, Demenzen


Spieler:
Einzel- und Gruppentherapie
Spieldauer:
20 min
Geeignet für Visusgestörte:
Ja
Visusgestörte Hinweis:
Kategoriefarben sehr blass, Schrift groß
Geeignet für Blinde:
Nein
Hauptmaterial:
Pappe/Papier
Enthält Kleinteile:
Nein
Allrounder:
Nein
Günstig:
Nein


Komplexität des Spielaufbaus oder der -regeln:
Schriftgröße:
Hygiene:


Verpackung (Länge/Höhe/Breite):
156mm / 43mm / 221mm
Material (Länge/Höhe/Breite):
0mm / 0mm / 0mm

Content / Spielablauf

Das Set enthält 120 Spielkarten verteilt auf 6 farbig sortierte Kategorien: Kindheit, Erwachsen werden und sein, Schicksal, Lebensfreude, Herzensthemen und Lebensweg. Passend dazu wird ein Farbwürfel geliefert. Die Farben sind eher in Pastelltönen gehalten und Visuseingeschränkte könnten hier eventuell die Farben nicht richtig erkennen. Die Schrift an sich ist jedoch recht groß und in imitierter Handschrift (Druckbuchstaben) abgelichtet.

Ablauf ist eigentlich recht simpel. Es werden sechs Stapel ausgelegt und dann reihum gewürfelt. Die oberste Karte der entsprechenden Kategorie wird gezogen. Wenn möglich, selbst lesen lassen. (Neuere Studien belegen, dass lautes Lesen und Lese-Sinn-Training Alterungsprozesse im Gehirn verlangsamen.) Beantworten lassen kann man die Frage entweder nur vom aktuellen Spieler oder man kann später auch andere Spieler mit einbeziehen.

Setting

Man kann es als Spiel spielen, oder einfach nur die Karten vorsortieren (nach chronologischer Reihenfolge) und dann 6 Karten immer zum Einstieg machen. Oder man nutzt die Fragen auf den Karten und arbeitet frei Schnauze. Je nachdem, wo der Fokus drauf liegt.

Geeignet ist das Spiel übrigens für deutlich mehr Patienten als nur dementiell Erkrankte. Für Aphasiker, wo es mehr um die Pragmatik geht, sind die Karten sehr gut geeignet. Also mittlere Aphasien profitieren von dieser sehr persönlichen Ebene absolut, da diese eher schon mal das Problem haben, dass sie sich nicht so effizient mitteilen können.

Aber es dürfte auch niemanden daran hindern, bei körperlichem Training biografischen Erzählungen zu lauschen und hier noch konkreter Nachzufragen. (Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle für die lieben Kolleginnen aus der Physio- und Ergotherapie an dieser Stelle, die den Erzählungen meines 81-jährigen Vaters lauschen.)

Steigerungen/Hilfen

Ich bin ja ne Frau, also bin ich neugierig. Wenn mein Patient in Erzähllaune ist, Stelle ich natürlich mal ein paar mehr Fragen. Manchmal kommt auch klassisch die Antwort: Och, das kann ich jetzt gar nicht so sagen. Das war mal so oder so. Dann hilft häufig, wenn man Auswahlmöglichkeiten stellt: Haben Sie sich eher .... oder ... gefühlt? Wenn dies erkrankungsbedingt nicht angenommen wird, steigt man eher in die Validation ein. Das ist wahrscheinlich auch eins der Gründe, warum das Nachfolgermodell dieses Spiels auf Sprichwörtern basiert. Der Verlag an der Ruhr bietet nun ein anderes Spiel im gleichen Stil an: Es nennt sich Sprichwortkiste zur Biografiearbeit. Hier kann man auf Basis der Validation deutlich einfacher arbeiten mit kognitiv stärker betroffenen Patienten.

Persönliche Rezension

Biografiearbeit ist ein Grundpfeiler in der geriatrischen Versorgung. Dabei ist es völlig irrelevant, ob man nun eher Bewegungs- oder Sprachtherapie bzw. kognitives HLT durchführt. Sie führt einen zurück zu einem selbst, hilft Gedanken zu bündeln und Erlebtes zu verarbeiten. Oberflächlich betrachtet betreibt man hier eine simple Sprachaktivierung, doch für Betroffene ist es einfach so viel mehr, was dem Sein im Hier und Jetzt deutlich mehr Sinn gibt, weil Erinnerungen teilweise so viel besser abrufbar sind. Das Hier und Jetzt kann manchmal ganz schön überfordern.

Umso mehr Freude macht dann eine Bewegungsaktivität, wenn man sie in Beziehung zu Erlebtem setzen kann oder sich einfach dabei unterhalten darf. Denn niemand mag einfach nur stupide behandelt werden. Absolut niemand.

Daher sind die Karten ein wertschätzendes Instrument, um entweder spielerisch die Aktivierung voran zu treiben, oder sie sind für den Therapeuten ein wertvoller Input, um Gespräche frei zu gestalten. Viele von den enthaltenen Fragen habe ich über meine Arbeitszeit mit geriatrischen Patienten mittlerweile verinnerlicht, sodass ich beim einfachen Gang über den Flur oder bei einem Kaffee exakt den gleichen Effekt erziele.

Beware of the hag?: Eine kleine Anekdote mag ich jedoch mit euch teilen. Es gibt Patienten, die fühlen sich ausgefragt. Ich habe auch schon mal den Satz geerntet: "Sind wir hier bei der spanischen Inquisition?!" Mal ab davon, dass dementiell Erkrankte einfach zuckersüß in der Verbalisierung ihrer Wahrnehmung sind, muss man natürlich solche Grenzen respektieren. Es gibt einfach Menschen, die mögen nicht über ihr Leben reden, die mögen sich nicht erinnern und die mögen ihre Gedanken auch einfach nicht teilen. Das erlebe ich zwar selten, hat man aber sehr viel bei Frontotemporalen Demenzen bzw. behavioralen Demenzen. Die Antwort der Patientin mag einem zwar ein bisschen gewöhnungsbedürftig vorkommen, ist aber eine sehr wertvolle Ressource, da sie sich hier versucht hat, klar abzugrenzen. Ich finde es fantastisch - denn der Rest ist einfach ein Problem der Grunderkrankung. Bei solchen Patienten macht einzig und allein in-vivo Training Sinn. Da blühen die schon mal eher auf, weil sie deutlich mehr sinnhafte Aktivitäten als Input benötigen.